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Fast alle deutschen Zeitungen, Fernseh- und Radiosender haben heute und gestern respektvoll und bewegt über die Trauerfeier für unseren im Irak getöteten Kollegen Christian Liebig berichtet. Eindrucksvoll für alle, dass im Kaisersaal der Münchner Residenz auch seine Lebensgefährtin Beatrice von Keyserlingk und sein Vater Hans Liebig die Kraft zu ergreifenden Worten des Abschieds aufbrachten.
Wir haben seine Eltern und seine Freundin in diesen schweren Tagen bei vielen Gesprächen und Treffen als bemerkenswerte Menschen kennen gelernt. Sie haben großen Anteil daran, dass Christian Liebig bis zum Moment seines Todes ein zufriedener und glücklicher Mensch war.
Den Hintergrund seiner wichtigen Entscheidung durfte er zu diesem Zeitpunkt nicht nennen, aber ich machte mir den richtigen Reim auf seine Andeutungen. Wir sprechen mit ihnen über Pläne, die unsere durch Unglück entstandene Verbindung aufrechterhalten wird – im Sinne von Christian Liebig und zu seinem Gedenken. Vater Liebig zitierte in der Rede über seinen einzigen Sohn den schönen Gedanken des Dichters Jean Paul: „Das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können, ist die Erinnerung.“
In diesem Paradies wird Christian Liebig weiterleben, wie er sich in unseren Herzen und Köpfen unvergesslich eingeprägt hat: als herzlicher Sohn, als liebender Liebster, als anerkannter Journalist, als hilfsbereiter Kollege und als lachender Freund.
„Christian ist unser einziges Kind gewesen! Er war in Bezug auf seinen Charakter ein sehr guter Mensch. Er konnte verschlossen, offen und sehr offen sein. Trotz seiner Liebe zu dir, Beatrice, zu seinen Eltern und Freunden ließ er sich von seinen beruflichen Visionen nicht abbringen – allerdings ohne jedes Draufgängertum. Die Sorge um ihn, als er nach Kuwait und später in den Irak ging, teilten seine Eltern, seine Lebensgefährtin und seine so zahlreichen Freunde. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass ihm etwas zustößt, war doch bei über 300000 alliierten Soldaten relativ gering. Weniger als 150 Amerikaner und Briten sind bis heute gefallen …
Wir alle sind von einer tiefen Trauer ergriffen. Wir als Eltern werden von unseren fürsorglichen Anverwandten, unseren Freunden und Bekannten nicht allein gelassen. Aber wir werden einsam sein in vielen Stunden an Tagen und in Nächten bis ans Ende unseres Lebens! Und wir werden uns die Frage zigtausendmal stellen: warum, warum? Aber wir wissen: Erinnerung ist das Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können!“
„In der Zeit, die ich mit ihm zusammen sein konnte, brachte er mich mit seinem oft schon schrägen Humor so oft zum Lachen wie niemand zuvor. Jeden Morgen erwachte ich voller Fröhlichkeit. Seine unbestechliche Geradlinigkeit, seine Rücksicht und seine Liebe spornten mich täglich an, so gut zu sein, wie er mich sah. Er weckte in mir eine Kraft, von der ich vergessen hatte, dass ich sie habe. Christian wollte in den Irak! Ich konnte und wollte ihn nicht zurückhalten.“
„Christian war zwar einerseits der unglaublich komische Humorist und Grimassenschneider, der eine unbändige Freude an voll-kommen chaotischen Situationen oder auch abstrakten Diskussionen hatte, die er mit seinem trockenen Humor wunderbar anheizen konnte. Aber diese urkomische Seite Christians war gepaart mit einer Ausgeglichenheit und Ruhe, die uns bei ihm, einer Melange aus einer Österreicherin und einem Berliner, fast schon erstaunen konnte. Er zeichnete sich schon in jungen Jahren dadurch aus, zuhören zu können, er war nie derjenige, der mit lauten Sprüchen in der Mitte stehen wollte, er war eher der, der mit bisweilen auch beißendem Sarkasmus das Geschehen mit ein wenig Abstand, aber mehr als treffend kommentieren konnte. Hierbei nahm er auch sich selbst nicht aus. Wir kennen wenige Menschen, die so intelligent und selbstironisch auch mal mit sich selbst ins Gericht gegangen sind …
Vor der Entscheidung, in den Irak zu gehen, waren wir noch intensiv in Kontakt, und viele von uns bekräftigten ihn, der zunächst immer abwog, in seiner Entscheidung, diese Herausforderung anzunehmen. Die Reaktionen auf seinen tragischen Tod bestätigen unsere Annahme, dass er nun auf der Schwelle war, Bedeutung für viele Menschen auf der ganzen Welt zu erlangen, und zwar mit seinem Stil, mit seinen dem Sensationsjournalismus völlig gegenläufigen Handlungen. Ein typisches Ereignis ist dabei für uns, dass er beispielsweise seine knappste Ressource, die Akku-Ladung des Satellitentelefons, mit einer amerikanischen Soldatin teilte, damit diese sich nach ihrer jungen Tochter erkundigen konnte, anstatt jedes Mikrowatt Ladung für die vermeintlichen „Sensationen von der Front„ zu verwenden. Das war Christian!“
„Warum ist ihm und seiner Familie die Zukunft nicht vergönnt, das Glück der späteren Jahre? Ich weiß keine Antwort auf diese Frage, und ich finde auch keine, die mich überzeugt, in den vielen mitfühlenden Briefen, die uns erreichen. Vom Schicksal ist darin viel die Rede, vom Berufsrisiko, manchmal auch nur von schrecklichem Pech und immer wieder mal von der Hand Gottes.
Welcher Gott? Ich stelle diese Frage, weil ich sie Christian Liebig schuldig bin. Er hätte sie auch gestellt. Schließlich stehen viele Götter zur Auswahl, das Angebot aller Religionen. Der Massenmörder aus Bagdad, dessen Rakete Christian Liebig und seinen spanischen Kollegen traf, appellierte an seinen Gott, er möge die Feinde vernichten, und der Präsident der großen Demokratie handelte sogar unmittelbar in Gottes Auftrag, als er zum Befreiungskrieg aufrief. War Christian Liebig das Opfer eines Götterstreits wie auf dem Olymp, wo die Ressortgötter gegenseitig ihre Lieblinge töteten? Oder hat der zuständige Gott vielleicht nur ein bisschen vor sich hin gedöst, als die Rakete durch die Wüste flog? Ich weiß auf diese Fragen keine Antwort, beglückwünsche aber jeden, der aus einer der Gotteslehren Erkenntnisse zu schöpfen vermag. Wir haben heute keinen Theologen eingeladen, weil es dem Skeptiker Christian Liebig und vielen anderen auf diesem Gebiet an Fakten mangelt, aber wir respektieren jeden, der alle Vorkommnisse auf diesem Globus als von diesem oder jenem Gott gewollt einordnen kann.“
„Christian war ein Mensch, für den Freundschaften außerordentlich wichtig waren. Hier war er genau wie in seinem Beruf immer berechenbar in seinen Aussagen. Unehrlichkeit gab es bei diesem Freund nie. Ich wusste in der ganzen Zeit, die wir uns kannten, immer, wo-ran ich war. Er hat mir häufig lächelnd meinen eigenen Spiegel vorgehalten und manchen Blödsinn, den ich im Begriff war zu tun, abgewendet. Er hat sich gekümmert um die Leute, die ihm nahe standen, war verbindlich und immer für sie da …
Wir alle haben uns in den letzten Tagen häufig die Frage nach dem Warum gestellt. Ich bin außer Stande, sie mir zu beantworten, und keiner von uns hier Anwesenden wird das je können. Aber eines weiß ich sicher: Ich bin glücklich und froh, diesen feinen Menschen als meinen Freund gehabt zu haben. Ich werde gern an die vielen schönen Momente, die wir zusammen verbracht haben, zurückdenken.“
Oft habe ich mich in den vergangenen Tagen gefragt, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist, Christian Liebig ins Kriegsgebiet ziehen zu lassen – oder besser gesagt: ins Kriegsgebiet zu schicken. Denn ich möchte meinen Teil der Verantwortung gar nicht wegschieben. Ja, ich habe diese Entscheidung bereut, würde sie gern zurücknehmen, wenn es ginge. Nicht aus journalistischen Gründen. Auch heute bin ich der Ansicht, dass Kriegsberichterstattung sein muss, und gerade Christian Liebig hat uns vieles erzählt und berichtet, was wir sonst nie erfahren hätten. Ohnehin hat er unsere Erwartungen in dieser Beziehung übererfüllt.
Ich würde die Entscheidung gern zurücknehmen aus ganz persönlichen Gründen: Mir, und ich denke, ich spreche auch für die Kollegen im Ressort, fehlt der Mensch Christian Liebig sehr. Während eines unserer letzten Telefonate sagte er zu mir: ,Ich bin so happy. Ich bin genau am richtigen Ort.’ Und ich sage heute hier: Ich bin so traurig, dass er an diesem Ort war, als die Rakete einschlug.“